Peter Schallenberg | 11. Dezember 2020
Weihnachten in Zeiten von Corona
Mit Nächstenliebe gegen Einsamkeit
Nichts wird mehr wieder so werden, wie es vor der Corona-Pandemie war. In dieser Einschätzung sind sich alle Experten einig. Auch darin, dass diese Corona-Pandemie die Menschheit in die größte globale Krise und zugleich Veränderung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gestürzt hat. Woran das liegt? Sicher an dem weltweiten Auftreten dieser Viruserkrankung, die medizinisch vergleichbar nur der Spanischen Grippe 1918-1920, der Asiatischen Grippe 1957/58 und der Hongkong-Grippe 1968/69 ist, die alle Millionen von Toten und schwerst Erkrankten rund um den Globus verursachten. Allerdings gibt es zwei große Unterschiede: Erstens gab es damals kaum größere Berichte in Zeitungen oder sonstigen Medien über die Krankheit. Und zweitens gab es schlicht sehr viel weniger medizinische Möglichkeiten. Sterblichkeit, auch und gerade im Winter erhöht, gehörte zum normalen Alltag.
Inzwischen aber hat jeder von uns umfassende Möglichkeit, sich über alles in der Welt täglich ständig zu informieren; alles ist transparent und gerade für junge Menschen jederzeit per Smartphone verfügbar. Und jeder lebt längst nicht mehr nur einfach im Schutz einer Krankenversicherung, die bei Krankheit mehr oder minder notdürftig absichert, sondern mit dem Versprechen einer Gesundheitsabsicherung, die vor jeder vermeidbaren Krankheit schützen soll und muss.
Schärfer gesagt: Der Gesundheit wird alles andere untergeordnet, und wirklich systemrelevant ist, was der Erhaltung der Gesundheit und einem möglichst langen Überleben dient. Dass dabei leicht unter den Tisch fällt, dass ein langes Überleben in vollkommener Einsamkeit nicht sehr erstrebenswert ist und eine Lebensquantität noch längst nicht eine entsprechende Lebensqualität verbürgt, dass ältere Überlebende ihr Überleben in den Heimen oft mit sozialer Isolation und Vereinsamung bezahlen, und dass Sterbende keinen Beistand und Besuch haben dürfen, liegt auf der Hand. „Social distancing“ und Kontaktverbot ist das Gebot der Stunde, und das ist oft verbunden mit der Beschränkung auf das häusliche Umfeld und die Familie, die auf einmal sehr nah auf die Pelle rückt.
Noch schneller aus dem Blick verliert man dabei aber junge Leute, denen immer wieder unterstellt wird, sie könnten ja am einfachsten in dieser Krise verzichten, gehörten sie im Regelfall doch gar nicht zu den Risikogruppen. Viel eher werden sie sogar als Pandemietreiber gesehen: Nicht nur in Bezug auf das Nachtleben und große Partys. Auch die Schulen geraten zunehmend unter Druck. Es stimmt natürlich: Junge Leute, die sozial noch viel aktiver sind als ältere, tragen durch für ihr Alter typisches Verhalten zur rascheren Verbreitung des Coronavirus bei, und ja, wie alle, müssen auch sie sich einschränken.
Dennoch hätte man sich auch verständnisvoller dafür zeigen können, dass junge Menschen meistens ein noch größeres Bedürfnis danach haben unter Leute zu gehen als Erwachsene. Und auch hier ist nicht einfach nur an das gemeinsame Feiern zu denken: Ob man eben ein Studienanfänger oder Studienanfängerin ist oder seine Ausbildung in einer anderen Stadt beginnt, man befindet sich dann jedenfalls an einem neuen Ort, ohne dort jemanden zu kennen. Und das ist ein erheblicher Unterschied dazu, verheiratet und berufstätig zu sein.
Weihnachten in der Corona-Krise lässt uns auch erinnern: Gott wurde geboren vor der Stadt Betlehem, und starb vor der Stadt Jerusalem. Er wählte die Außenseiterposition und erwartet auch von uns, Einsamkeit zu ertragen, um auf den Gedanken zu kommen: Wem geht es schlechter als mir? Wer hat mich und meinen (digitalen) Besuch nötig? Oder meinen Anruf? Vielleicht kann es ja helfen, jetzt in der Adventszeit, in der man nicht mit Freunden und Bekannten auf den Weihnachtsmarkt gehen kann, sondern viel alleine sein muss, wodurch man sich so fühlt als stünde man am Rand und nicht mehr mittendrin, sich folgendes klar zu machen: Gott ist am Rand und draußen vor der Stadt.
Und ein Zweites zeigt uns Weihnachten eben auch: Die Begegnung mit Gott gelingt ja – Gott sei dank! – nicht nur durch Kirchgang und Sakramente, sondern der Herr sagt selbst: „Was Ihr einem der Geringsten getan habt, das habt Ihr mir getan!“ Weihnachten heißt doch: Gott lässt sich finden, wenn jemand raus geht von sich selbst. Raus zur Kirche, raus zum Menschen. Raus zu den Menschen, die uns nötig haben – auch wenn dies auf digitalem Wege oder höchstens mit angemessenem physischem – nicht aber sozialem und emotionalem! – Abstand geschehen muss. Und vielleicht kommt der eine oder andere sogar auf den Gedanken, nicht nur entweder barmherziger Samariter oder Priester auf dem Weg zum Tempel zu sein, sondern beides: Vor oder nach der Tat der gelebten Nächstenliebe kurz im Tempel, in der Kirche vorbeischauen, um Gott zu begrüßen. Denn der freut sich über jeden, der vorbeischaut. Wie einst die Hirten in Betlehem!