istock / Manuel Tauber-Romieri

07. September 2020

Pandemien als Spiegel innerer persönlicher Zerrissenheit

Studentisches Thesenpapier zu einigen sozialen Auswirkungen der Corona-Pandemie

Vor etwa 100 Jahren kursierte die Spanische Grippe, heute im Jahr 2020 beschäftigt uns Covid-19. „Die Spanische Grippe wird zu Unrecht als Fußnote des Ersten Weltkriegs behandelt – sie forderte wohl mehr Opfer als beide Weltkriege zusammen.“[1] Sowohl die Spanische Grippe (1918-1920) als auch Covid-19 (2019 bis heute) sind Viruserkrankungen, deren Erreger zum Zeitpunkt des Ausbruchs nicht bekannt war.

Die Hilfslosigkeit der Mitarbeiter im Gesundheitswesen weltweit, die Erkrankung nicht behandeln zu können, spiegelt sich in beiden Pandemien wider. Aufgrund des Übertragungsweges über Tröpfchen verbreiteten sich die Erkrankungen vor allem unter Menschenansammlungen rasant. Damals nahm die Virusübertragung ihren Ursprung überwiegend in Kriegslagern, heute dagegen an Urlaubsorten, in großen Unternehmen sowie in Massenunterkünften. Erkrankte litten damals wie heute unter Symptomen wie Fieber und Husten, die über eine Pneumonie bis hin zum Tod führen können.

Überwiegend Frauen sorgten während der Spanischen Grippe für die Behandlung, für dir Pflege und für Hygienemaßnahmen bei den Patienten. Diese standen unter dem Schatten der Ärzte und erhielten eine geringere Wertschätzung ihrer Tätigkeit, obwohl sie einen beträchtlichen Anteil zur Eindämmung der Pandemie leisteten. Heute wurde – begonnen in Italien – den Frauen und Männern in der Pflege durch Applaus großer Respekt gezeigt. Deshalb stellen wir die Frage: Wie wandelt sich die Gesellschaft vor dem Hintergrund einer weltweiten Pandemie? Unsere folgenden Thesen sollen zum Nachdenken, Diskutieren und zur Auseinandersetzung mit den Themen anregen.

These 1: Pflegesäule renovieren!
Klatschende Menschen auf den Balkonen, die die Pflegekräfte und die Ärzte hochleben lassen, ist eines der vielen Bilder der Corona-Krise, die in Erinnerung bleiben werden. Eine angemessene Anerkennung des Pflegeberufs ist das aber noch nicht: Diese muss sich in einer grundlegenden Verbesserung der Arbeitsbedingungen zeigen, die eine Reduzierung der Arbeitsbelastung zur Folge hat. Anerkennung allein durch Applaus und höhere Löhne ist nicht ausreichend. Während der Covid-19-Krise nahm die psychische Belastung der Pflegekräfte auf Grund von regional bedingter Überforderung erheblich zu.

Die psychischen Belastungen der Pflegekräfte und die entstandenen Dilemma-Situationen werden durch den Bund-Länder-Beschluss vom 17.06.2020 weiter verschärft. Damit wurden die Beschränkungen des öffentlichen Lebens in Deutschland gelockert und in die Verantwortung aller Bundesländer übergeben.[2] Dies hat zur Folge, dass für die Bevölkerung, zu der auch die in der Pflege tätigen Mitarbeiter gehören, weitestgehend wieder ein normales Alltagsleben stattfinden kann. Dadurch steht die Pflege im Zwiespalt zwischen diesen Lockerungen einerseits und den nach wie vor geltenden Schutzmaßnahmen der Deutschen Bundesregierung für Krankenhäuser, Pflegeheime, Senioren- und Behinderteneinrichtungen andererseits.[3]

Trotz Entspannung der Pandemie in Deutschland muss das Pflegepersonal weiterhin Höchstleistungen erbringen, da in den vergangenen Wochen ausgefallene Operationen und Interventionen nun im Eiltempo nachgeholt werden. Somit reißen die Belastungen des Pflegepersonals nicht ab. Besonders während der Corona-Krise ist wieder deutlich geworden, dass der Pflegeberuf eine stabile Säule des deutschen Gesundheitswesens sein muss. Die Pflegesäule bröckelt bereits seit Jahren und wurde in der Vergangenheit nur teilweise gestopft. Es ist die Aufgabe von Gesellschaft und Politik, die Säule zu renovieren.

These 2: Virtuelles Studium mit gemischten Gefühlen!
Nicht nur das Pflegepersonal leidet unter der aktuellen Situation. Auch junge Menschen, die noch am Anfang ihres Berufslebens oder Studiums stehen, lernen derzeit, sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Seit April befinden sich in Deutschland Studierende im virtuellen Sommersemester.[4] Offen ist noch, welche gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen virtuelle Vorlesungen haben. Fördert das virtuelle Lehren und Lernen eine anonyme Gesellschaft? Fühlt man sich noch miteinander verbunden, wenn gemeinsame Unternehmungen und Erlebnisse wegfallen?

Besonders die Wilhelm Löhe Hochschule in Fürth, eine kleine private Hochschule, zeichnet sich durch ein gutes und persönliches Verhältnis zwischen Studierenden, Professoren und Studiengangsmanagement aus. Durch den Wegfall der Präsenzvorlesungen reduziert sich selbst hier das zwischenmenschliche Miteinander. Insbesondere das Verfestigen und Einüben von sozialen Kompetenzen und somit das Schaffen einer Hochschulgemeinschaft treten zwangsläufig in den Hintergrund. Obwohl die Präsenzveranstaltungen vermisst werden, haben die Studierenden es aber auch zu schätzen gelernt, daheim in virtuellen Vorlesungen konzentrierter und ungestörter zu lernen. Die fehlende räumliche Trennung zwischen Studium und Privatleben kann aber zudem zu Stress führen, da ein Gefühl der dauernden Erreichbarkeit besteht und das geistige Abschalten schwerer fallen kann.

Wie auch in den Pflegeberufen erleben viele Studierende eine innere Zerrissenheit, welche Vorlesungsform dauerhaft präferiert wird. Es darf nicht vergessen werden, dass rein virtuelle Vorlesungen nicht für alle Studiengänge kompatibel sind. Viele Berufsfelder erfordern Handlungskompetenzen, die im Studium unter einer praktischen Anleitung eingeübt werden müssen. Fest steht: Trotz der Vorteile kann die virtuelle Lehre die Präsenzveranstaltungen nicht vollständig ersetzen. Es bleibt auch ungewiss, wie sich die Hochschullandschaft in Deutschland zukünftig, durch Covid-19 angestoßen, wandeln wird.

These 3: Nachhaltigkeit und Zusammenhalt!
Viele Träume und Meilensteine, die sich nicht nur junge Menschen für das Jahr 2020 gesetzt haben, sind unerwartet weggefallen. Blicken wir mit unserem heutigen Wissen auf die vergangenen Monate zurück, dann haben sich die Ereignisse überschlagen. War 2019 Greta Thunbergs Skolstrejk for klimatet noch ein großes Thema, begann das Jahr 2020 mit den verheerenden Buschbränden in Australien. Es folgten im Februar Berichte zum rechtsextremen Terror in Deutschland und zu Heuschrecken in Ostafrika. Seit März beherrscht die Berichterstattung über die weltweite Corona-Pandemie die Medien und zusätzlich ab Juni die Black-Lives-Matter-Bewegung. Wenn wir Ende 2020 einen Jahresrückblick im Fernseher anschauen, wird ungewiss sein, welche großen Themen noch auftauchen werden, die wir heute noch gar nicht erahnen können. Sicher ist jedoch, dass Covid-19 unsere zukünftigen Entscheidungen beeinflussen wird.

Im Vergleich zu vor 100 Jahren befinden wir uns heute ebenfalls in einer Zeit des Umbruchs. Dies wird durch die innere Zerrissenheit der Gesellschaft deutlich, die wir in unserem Thesenpapier beispielhaft an den Gruppen der Pflege und Studierenden skizziert haben. Wir leben in einer Gesellschaft, die von Schnelllebigkeit und einer Vielzahl an großen Themen geprägt ist. Wir als Gesellschaft müssen aufeinander achten und dürfen uns nicht durch das schnelle Tempo unserer Zeit mitreißen lassen. Vielmehr sollten wir uns das gemeinsame Ziel setzen, eine langandauernde, respektvolle Solidargemeinschaft aufzubauen und zu leben.

Unser Fazit:
Wir möchten eine Gesellschaft mitgestalten,

  • die eine professionelle pflegerische Arbeit ermöglicht, so wie man selbst auch gepflegt werden möchte!
  • die die Belastungen, mit denen auch die Studierenden zu kämpfen haben, sieht und hört!
  • in der lebendige Diskussionen, unterschiedliche Meinungen und Kompromisse auf Augenhöhe unsere Solidargemeinschaft festigen!
  • die in unserer Gesellschaft die innere persönliche Zerrissenheit mit gegenseitigem Respekt, Akzeptanz und Toleranz harmonisiert!

Autoren:

  • Susanne Allgeier: 4. Semester, Gesundheitsökonomie und Ethik (B.A., Vollzeit)
  • Christian Fischer: 4. Semester, Berufspädagogik für Gesundheit – Fachrichtung Pflege (B.A., berufsbegleitend)
  • Johanna Stefanie Karl: 2. Semester, Werteorientiertes Gesundheitsmanagement (M.A., Vollzeit)
  • Martina Lannig: 4. Semester, Berufspädagogik für Gesundheit – Fachrichtung Pflege (B.A., berufsbegleitend)
  • Anita Rampp: 4. Semester, Berufspädagogik für Gesundheit – Fachrichtung Pflege (B.A., berufsbegleitend)
  • Tamara Rievel: 4. Semester, Management im Gesundheits- und Sozialmarkt (B.A., Vollzeit

[1] Spinney, Laura: 1918 Die Welt im Fieber – Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte; 6. Auflage, München 2020.

[2] Bund-Länder-Beschluss: Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 17.06.2020; Berlin; www.bundesregierung.de/resource/blob/973812/1761548/94bdb647e1b03200d8430ee22e504ea9/2020-06-17-infektionen-data.pdf?download=1 (15.7.2020)

[3] Kaiser, Ulrike: Coronavirus in Deutschland; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Berlin 2020; www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/corona-massnahmen-1734724 (14.7.2020)

[4] Huml, Melanie: Sechste Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung; Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Plfege; München, 19.06.2020 https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayIfSMV_6-19?AspxAutoDetectCookieSupport=1  (14.7.2020)