Lars Schäfers | 19. Dezember 2020
Impfgerechtigkeit geht nur global
Ein ethischer Kommentar zur aktuellen Lage
Die Welt atmet auf, der Impfstoff ist da. Ob und wann Coronas letztes Stündlein schlägt, ist aber ungewiss und das Pandemiegeschehen in Deutschland noch lange nicht unter Kontrolle. Ganz im Gegenteil. Während die ersten Menschen in den USA ihre Impfung schon erhalten haben, hängen die Bundesbürger derzeit in der Warteschleife. In Deutschland soll es nach Weihnachten aber ebenfalls losgehen: Angesichts erster geplanter Impfungen voraussichtlich ab dem 27. Dezember hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gestern eine entsprechende Impfverordnung unterzeichnet. Damit geht die Debatte über Impfgerechtigkeit in die nächste Runde. Und wenn es um Gerechtigkeit geht, geht es immer auch um Ethik. Und auf diesem Feld kann Spahn mit seiner Verordnung tatsächlich punkten: Die Verordnung entspricht den Kriterien des Positionspapiers der gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Ständigen Impfkommission, des Deutschen Ethikrates und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, das bereits am 9. November eine nicht nur medizinisch, sondern auch ethisch angemessene Priorisierung bei der Verteilung knapper Impfdosen innerhalb der Bevölkerung begründet hat. Ethisch geht es dabei um Prinzipien wie Lebensschutz, Selbstbestimmung sowie um eine Verteilungsgerechtigkeit, die hinsichtlich der Gefährdungslage und des Sterberisikos wesentlich Gleiche gleich und wesentlich Ungleiche ungleich zu behandeln verlangt. Dafür muss jetzt um Akzeptanz und Vertrauen geworben werden.
So weit, so gerecht also? Impfgerechtigkeit ist nur als globale Gerechtigkeit eine echte Gerechtigkeit: Reiche Nationen haben sich bereits Milliarden von Impfdosen gesichert, Kanada gar weit mehr als sie für ihre Bevölkerung bräuchten. Gegen den nunmehr grassierenden Impfnationalismus muss gerade die christliche Ethik, die Papst Franziskus jüngst in Fratelli tutti erneut auf das Prinzip weltweiter Geschwisterlichkeit verpflichtet hat, die globale Dimension der Corona-Pandemie und ihrer Bekämpfung stets in Erinnerung rufen. Globale Impfgerechtigkeit gibt es nicht ohne globale Solidarität. Es braucht gerade für Entwicklungsländer ein Impfstoffangebot zu vertretbaren Preisen. Kommen diese nicht zustande und Länder wie Niger, Myanmar oder Haiti nicht an genügend Impfdosen müssen zur Not Patente weichen und Zwangslizenzen her. Damit es so weit nicht kommen muss, gibt es die EU-finanzierte COVAX (Covid-19 Vaccines Global Access): Die Initiative setzt sich unter anderem für den weltweiten Zugang zur Impfung gegen Covid-19 ein. Wenigstens die 20 Prozent der gefährdetsten Menschen jedes Landes sollen so Zugang zur Impfung erhalten.
Eine weltweit gerechte Impfstoffverteilung dient nicht zuletzt dem globalen Gemeinwohl: Ein endemisch werdendes Coronavirus kann frisch mutiert immer wieder auftauchen und so zu einer dauerhaften Gefahr werden. Treffend auf den Punkt bringt es die Abschlusserklärung des 12. World Health Summit: Niemand ist sicher, bis alle sicher sind. Das gilt in zeitlicher wie räumlicher Perspektive gleichermaßen.