Stefan Gaßmann | 24. März 2021
Gesundheitsschutz und Religionsfreiheit nicht gegeneinander ausspielen
Warum Präsenzgottesdienste an Ostern stattfinden sollten
Die Feier von Präsenzgottesdiensten in Zeiten rasch steigender Infektionszahlen ist ethisch ambivalent. Zu dieser Frage habe ich mich schon vor einem Jahr, als wir bereits ein Ostern ohne Gottesdienste feiern mussten, geäußert. Ebenso war die Frage im Umfeld des Weihnachtsfestes virulent. Auch in diesem Zusammenhang hatte ich klar gemacht, dass es in ethischer Perspektive dennoch unstatthaft ist, Gottesdienste pauschal abzusagen, was den einzelnen Gläubigen aber nicht davon dispensiert sorgfältig abzuwägen, ob eine Mitfeier in Präsenz für sie oder ihn notwendig ist. Die Argumente sind prinzipiell gleich geblieben und können hier wiederholt werden:
Der Grundpfeiler unseres Zusammenlebens ist die Überzeugung, dass die Würde jedes Menschen, und damit seine Freiheit, unantastbar ist. Und zur Freiheit gehört es auch, Gott in seinem Leben einen zentralen Platz einräumen zu dürfen. Die Entscheidung für ein religiöses Leben bringt es mit sich, dass ein Gottesdienst trotz vieler oberflächlicher Ähnlichkeiten etwas ganz anderes ist als Kulturprogramm. Nur weil es für jemanden, der nicht religiös ist, danach aussieht, ist es noch lange nicht dasselbe. Deswegen ist es auch legitim, dass von staatlicher Seite zwischen beidem unterschieden wird: Der säkulare, weltanschaulich neutrale Staat kann eben nicht über religiöse Wahrheiten entscheiden. Er bemüht sich lediglich darum, dass jeder die Möglichkeit hat, seiner Wahl für oder gegen ein religiöses Leben entsprechend leben zu können. Er steht im Dienst an der Würde und Freiheit aller, auch der religiösen Menschen in einer mehrheitlich nicht religiös lebenden Gesellschaft.
Der Einwand, dass auch die Feier der Gegenwart Gottes immer noch eine physische Zusammenkunft von Menschen und damit auch ein potenzielles Superspreading-Event sein kann, ist berechtigt und darf gerade Gläubige, die eine christlich motivierte Verantwortung für den Schutz des Lebens aller vertreten, nicht kalt lassen. Es gibt aber gute Gründe davon auszugehen, dass bei den gegenwärtigen Regeln das Risiko einer Übertragung des Erregers SARS-CoV-2 während der Feier eines Gottesdienstes verschwindend gering ist. Zudem gilt hier wie überall: Das verantwortungsbewusste Befolgen der A-H-A-Regeln ist der beste und letztlich der einzige Schutz vor einer Verbreitung des Erregers, solange noch nicht flächendeckend geimpft wurde. Nur Eigenverantwortung schafft Sicherheit für den Einzelnen und für andere, denen er begegnet. Deswegen ist es auch begrüßenswert, dass sich die deutschen Bischöfe bereits klar für eine Feier von Präsenzgottesdiensten ausgesprochen haben. Auch die EKD möchte zunächst eine Begründung, warum die Hygienekonzepte plötzlich als so unzureichend eingestuft werden, dass sie von sich aus auf Gottesdienste verzichten wollten, die eben nicht einfach nur entbehrliches Kulturprogramm sind. Entscheiden muss es dann am Ende die oder der einzelne Gläubige.
Eine Bemerkung sei mir am Ende noch erlaubt: Dass die Frage nach der Durchführung von Präsenzgottesdiensten zwei Wochen vor Ostern, ohne sich im Vorfeld mit den Kirchen besprochen zu haben, von Ministerpräsidenten und -präsidentinnen aufgeworfen wird, die in den letzten Wochen viele Versäumnisse zu verantworten haben, die die erneute Eskalation der pandemischen Lage nach sich gezogen hat, hat mindestens ein Geschmäckle.