Peter Schallenberg | 23. Juli 2021
„Anreize sind hilfreich und manchmal auch nötig“
Peter Schallenberg setzt bei Corona-Impfung auf Vernunft und Freiwilligkeit
Bei zunehmendem Impfstoffüberschuss und abnehmender Impfbereitschaft diskutiert Deutschland im Kampf gegen die anhaltende Pandemie weiter über die Corona-Impfung. Die einen sind für bessere Aufklärung, mehr Motivation und kreative Zugangsmöglichkeiten, damit sich möglichst viele Menschen impfen lassen. Inzwischen werden von der Politik verstärkt auch die Kirchen um Unterstützung gebeten, Position zu beziehen und sich an der Impfkampagne zu beteiligen. Wie die katholische Kirche auf die teils kontrovers diskutierten Streitpunkte blickt und warum sich aus dem gelebten Glauben heraus im Für und Wider die Corona-Impfung Vernunft und Freiwilligkeit als beste Ratgeber anbieten, darüber gibt KSZ-Direktor Prof. Dr. Peter Schallenberg Auskunft.
Herr Professor Schallenberg: Sind Sie gegen Covid-19 geimpft oder wollen sich gegen Covid-19 impfen lassen?
Professor Dr. Peter Schallenberg: Ja, ich bin geimpft. Seit Ende März. Alle im Vatikan Beschäftigten wurden schon sehr früh geimpft.
Sich gegen Covid-19 impfen zu lassen, ist das eine Gewissensentscheidung?
Professor Schallenberg: Ich persönlich glaube schon, dass man sich im Gewissen ernsthaft befragen muss, wenn man sich nicht impfen lassen will. Denn man schützt mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur sich selbst, sondern auch andere gegen Ansteckung. Zudem sagen uns Medizin und Forschung, dass ein hoher Grad an Geimpften als Beitrag zur sogenannten Herdenimmunität, bei der weiteren Eindämmung der Pandemie wichtig ist, hier bei uns und auch weltweit. Da geht es dann auch um die gerechte und solidarische Verteilung der Impfstoffe in der ganzen Welt, auch in den ärmsten Ländern.
Sie meinen also, dass man sich impfen lassen sollte. Kann es dann auch eine Impfpflicht geben?
Professor Schallenberg: Von einem generellen Zwang zur Impfung oder einer allgemeinen Impfpflicht würde ich abraten. Das kann nur Ultima Ratio, also letzte Notmaßnahme sein. Provoziert würden mit solchen Maßnahmen meist unnötig Aggression und Polemik. Besser ist es auf Anreize und Überzeugungsarbeit zu setzen, die zur freiwilligen Impfbereitschaft führen. Eine allgemeine Impfpflicht verstieße meines Erachtens auch gegen das allgemeine Gebot der Unverletzlichkeit der Person. Anders sieht das zum Beispiel im Hinblick auf Berufe im Gesundheitswesen und im Pflegebereich aus, eventuell auch in den Schulen. Hier kann der Staat zum Schutz besonders vulnerabler Gruppen und Menschen berechtigt sein, eine Impfung zu verlangen. Dann kann der Einzelne ohne Zweifel in einem bestimmten Berufsfeld zu besonderen gesundheitlichen Maßnahmen verpflichtet werden.
Welche Anreize meinen Sie?
Professor Schallenberg: Zum Beispiel Prämien für Geimpfte im Gesundheitswesen etwa. Solche Anreize sind hilfreich und manchmal auch nötig. Daneben gibt es weitere zulässige, aber indirekte Anreize: etwa wenn der Gesetzgeber verordnet, dass Großveranstaltungen wie Konzerte und sonstige Events nur von Geimpften besucht werden dürften. Ähnliches gilt beim Reisen. Das sind zunächst keine Diskriminierungen. Es gibt ja nicht das natürliche Menschenrecht oder Bürgerrecht auf Events und Reisen. Es handelt sich um Einschränkungen zum Schutz der Gesundheit aller, die indirekt als Anreiz zur Impfung dienen können, ein durchaus gewünschter, aber nicht vom Staat direkt angestrebter Nebeneffekt.
Welche Rolle spielt dabei die oft geforderte Solidarität Einzelner zum Wohle aller? Wie weit geht da die Bürgerverantwortung?
Professor Schallenberg: An Bürgerverantwortung und Solidarität kann und muss zunächst immer appelliert werden: Ein Sozialstaat, der auf Solidarität setzt, lebt zuerst immer von der freiwilligen Tugend und erst in zweiter notwendiger Linie von der eingeforderten Pflicht. Der Staat aus katholischer Sicht in der Tradition des Kirchenvaters Augustinus versichert den Menschen gegen die Tötung durch den Mitmenschen, gegen Beraubung und Lüge, Betrug und Missbrauch; er versichert den Menschen auch gegen grobe Formen unsolidarischen Verhaltens. Ob dazu auch die willkürliche und gedankenlose Verweigerung der Impfung gehört, muss im parlamentarischen Rechtsstaat sorgfältig geprüft, debattiert, am Ende durch Abstimmung parlamentarisch entschieden und in Gesetzesform gebracht werden. Nicht immer ist es förderlich, Solidarität zu erzwingen. In Form unserer Sozialversicherungssysteme tun wir das. Ob wir das auch hinsichtlich einer allgemeinen Impfpflicht tun wollen, ist zu diskutieren. Da wäre ich aber eher skeptisch. Solidarität kann sich durch allzu forsche Verpflichtungsmaßnahmen auch erschöpfen.
Gäbe es eine Alternative?
Professor Schallenberg: Die Alternative ist, wie schon angedeutet, der Appell an die Freiwilligkeit und damit an die Vernunft. Der soziale Rechtsstaat lebt immer vom besseren und besten Argument, nicht zuerst vom blinden Autoritätszwang.
Was empfiehlt die katholische Kirche? Gibt es Entscheidungshilfen?
Professor Schallenberg: Entscheidungshilfe ist wie immer und zuerst im Bereich der Ethik die Goldene Regel: Handle so, wie auch du behandelt werden möchtest. Oder die erste Formel des kategorischen Imperativs bei Immanuel Kant: Handle stets so, dass die Maxime deines Handelns allgemeines Gesetz werden könnte, also die Universalisierung über den kleinen eigeninteressierten Horizont und Tellerrand hinaus. Sodann ist für Christen und Katholiken in ethischen Fragen immer das Gerichtsgleichnis im Matthäusevangelium (Kapitel 25) Entscheidungshilfe: Was ihr dem Geringsten getan habt, habt ihr mir getan; ich war krank und ihr habt mich besucht und so weiter – also auch hier wieder der moralische uneigennützige Sprung über den eigenen Schatten der Selbstbezüglichkeit und der sozialen Verstockung. Und wenn das katholische Lehramt erklärt, die Impfstoffe seien nicht in moralisch bedenklicher Weise hergestellt – also mit Hilfe von Embryonengewebe – dann ist das wenigstens für Katholiken sicher eine erhebliche Entscheidungshilfe.
Was ist mit den Personengruppen ohne Impfmöglichkeit?
Professor Schallenberg: Bei Personen ohne Impfmöglichkeit gibt es natürlich entschuldbare Gründe. Ganz klar.
Können Sie die Verunsicherung und auch die Kritik an einem „Impfwahn“ verstehen?
Professor Schallenberg: Die Verunsicherung kann ich verstehen. Daher auch die Notwendigkeit offener Diskussion. Die Kritik am „Impfwahn“ kann ich nicht gut verstehen, schließlich geht es letztlich um den größtmöglichen Schutz vor schwerer Krankheit und Tod vieler Menschen. Dies zu garantieren, das ist für den Staat kein Wahn oder keine Ideologie, sondern die vornehmste Aufgabe.
(zuerst erschienen auf der Homepage des Erzbistums Paderborn)